Die Entstehung der jüdischen Gemeinde in Meran
Erste Spuren
Erste Zeugnisse jüdischen Lebens in Tirol sind aus dem Mittelalter überliefert. Im Jahr 1297 war der Jude Maisterlino auf der Töll oberhalb von Meran Steuereintreiber. Die Meraner Münzstätte verwaltete um 1311 ein Jude aus Görz namens Bonisak. Und im Jahr 1403 erhalten Isaak und Samuel mit ihren Familien von Bischof Ulrich II. das Privileg, in Brixen eine Kreditbank zu betreiben.
Friedrich IV.
Auch in Bozen wohnten Juden. Dokumente belegen, dass der Habsburger Friedrich IV., Graf von Tirol, bekannt auch als "Friedrich mit der leeren Tasche", 1431 in einem "Privilegbrief" vier jüdischen Familien in Bozen persönlichen Schutz gewährte. Weiters belegt ein Brief aus dem Jahr 1402, dass sich Kaspar von Schlandersberg von Bozner Juden 40 Gulden leiht.
In einem Dekret aus dem Jahr 1520 erließ Kaiser Maximilian I. die Ausweisung aller in Tirol ansässigen Juden. Da Bozner Juden davon ausgenommen waren, zogen einige Tiroler Juden nach Bozen, doch nur wenige Jahrzehnte später, im Jahr 1573, verordnete Ferdinand II. in einer neuen Polizeiordnung für die Grafschaft Tirol, dass in Bozen wohnhafte Juden und Juden, die nur auf der Durchreise waren, ein Kennzeichen tragen mussten. Das „Judensymbol“ bestand aus einem kreisförmigen, gelben Stoffstück mit einem Durchmesser von 8,5 cm und musste gut sichtbar aufgenäht werden.
Begründer des Tourismus in Südtirol
Jüdische Familien prägten und veränderten Meran und das südliche Tirol in den nächsten Jahren und Jahrzehnten, ganz besonders die Familien Schwarz, Biedermann und Bermann. Ihre Namen hängen unmittelbar damit zusammen, dass Bozen und Meran, das damals noch ein unbedeutendes Provinzstädtchen war, sich zu angesehenen Handels- und Fremdenverkehrszentren entwickelten. Die Familie Schwarz gründete in Bozen eine Privatbank und stiftete der Stadt Brixen nach einem verheerenden Großbrand 1840 einen ansehnlichen Geldbetrag.
Die Familie Schwarz förderten den Ausbau der Infrastruktur in Südtirol, im Trentino und in Meran. Mitglieder der Familie bauten die Eisenbahn in Garda, die Eisenbahnverbindung Bozen-Kaltern, die Standseilbahn auf den Virgl bei Bozen, die bei ihrer Eröffnung 1907 die steilste Standseilbahn Europas war, und waren am Bau der Mendelbahn beteiligt. Die Familie Schwarz legte Grundstücke entlang der Etsch trocken und parzellierte sie. Sie betrieb außerdem Bierbrauereien am Brenner, in Gries bei Bozen und in Vilpian.
Daniel Biedermann
Auch die Brüder Biedermanns führten ab der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Bank und ein Wechselbüro, jedoch nicht in Bozen wie die Brüder Schwarz, sondern in Meran, das sich gerade zu einem internationalen Kurort zu entwickeln begann. Daniel, Jakob und Moritz Biedermann ließen sich, aus Hohenems kommend, in den 1840er Jahren im Kurort nieder und trugen wesentlich zur Verbesserung der Empfangs- und Kureinrichtungen in Meran bei. Die D. & J. Biedermann Bank entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit einem sehr angesehenen privaten Bankhaus.
Die Bank D. & J. Biedermann
Der zum Katholizismus konvertierte Kaufmann jüdischer Herkunft Sigmund Freudenfels gründete mit Arthur von der Planitz und Karl von Grabmayr die Meraner Calville-Export-Gesellschaft, eine der ersten Obstexportgesellschaften Tirols. Neben zahlreichen Ehrenämtern wirkte Sigmund Freudenfels unter anderem auch im Gemeinderat von Untermais. Er starb 1905 und wurde in seiner Wahlheimat Meran begraben. Wie die Gebrüder Biedermann, ihr Nachfolger Friedrich Stransky, die Familie Bermann und Raphael Hausmann trug Sigmund Freudenfels dazu bei, dass Meran sich zu einem infrastrukturell gut ausgestatteten Kurort entwickelte, doch eine Würdigung dieser für die Stadtgeschichte wichtigen Persönlichkeiten sucht man im öffentlichen Raum vergeblich.
Begründer des jüdischen Tourismus
Das Restaurant Starkenhof
Josef und Katharina Bermann eröffneten in den 1870er Jahren das erste koschere Gasthaus in Meran: Bermann’s Koscher-Restauration. Die Familie Bermann stammte aus Kremsier in Mähren und zog um 1870 nach Meran.
Um 1880 pachtete Josef Bermann pachtet die Pension Starkenhof, die er zu einem koscheren Betrieb ausbaut. Im Dezember 1885 kauft Bermann den Starkenhof um 27.000 Gulden. Hier fanden zu Schabbatbeginn am Freitagabend und am Schabbat Gottesdienste statt.
Das koschere Hotel Bellaria
Leopold Bermann, der Sohn von Josef, kaufte 1905 das Hotel Bellaria. Die Konzession für ein Hotelgewerbe sollte er aber erst vier Jahre später, 1909, erhalten. Im Bellaria residierten Berühmtheiten aus Politik und Gesell-schaft, wie Israels erster Präsident Chaim Weizmann oder der Schrift-steller Zeev Vladimir Jabotinsky. Ein Bruder von Leopold, Max Bermann, widmete sich der Medizin und war ab 1893 als Spezialist für Harn- und Geschlechtskrankheiten, für Nerven- und innere Krankheiten in Meran tätig. Nach der Jahrhundertwende eröffnete er in Meran-Obermais das Sanatorium Waldpark. Eines hatten alle Bermanns gemeinsam: Sie scheuten keine Kosten für wohltätige Zwecke. Josef Bermann, der Sohn von Leopold und Enkel des Gründers Josef, war der letzte Präsident der jüdischen Gemeinde vor der Schoah. Josef und seine Frau Sara wurden wie weitere Mitglieder der Familie von Meraner Bürgern schwer enttäuscht.
Jacob Jechiel Gans (Saras Bruder) und das Brautpaar Sara und Josef Bermann bei ihrer Hochzeit am 13.4.1926 im Garten des Bellaria
Purim 1923 im Bellaria
Das jüdische Sanatorium in Meran
Eine Idee, eine kleine Villa und der Wunsch, Gutes zu tun: Nach diesem Motto wurde 1893 in der Villa Steiner in Untermais nahe der Passer ein Sanatorium für mittellose jüdische Patienten und Patientinnen gegründet. Doch bald schon war das Gebäude aufgrund der großen Nachfrage zu klein.
Zahlreiche Spenden aus aller Welt ermöglichten schließlich die Erweiterung mit einem imposanten Zubau. Am 23. Jänner 1909 war es dann soweit: Das neu erbaute jüdische Sanatorium wurde eröffnet. Es war nach dem neuesten Stand der Technik und Medizin eingerichtet.
Jedes Stockwerk hatte eigene Bäder mit fließendem Warm- und Kaltwasser. Bäder und Duschen waren aus Email, der Fußboden aus Linoleum, um Krankheitskeime zu vermeiden.
Auf Kaschrut-Regeln wurde geachtet: Eine Küche diente nur der Fleischzubereitung, eine andere war den Milchspeisen vorbehalten. In den 1950er Jahren wurde das Sanatorium verkauft. Heute beherbergt das Gebäude Privatwohnungen und öffentliche Ämter der Provinz Bozen.